dis:located!? - zwischen anywhere und somewhere

Als ich angefangen habe, mich mit Themen wie „wo ist zuhause?“, „brauche ich so etwas wie Heimat?“ zu beschäftigen ging es mir um die Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen meines Lebensmodells als reisender Berater, Moderator, Projektemacher. Hierfür habe ich eine passende Form gesucht. Seit dem Jahr 2014 fotografiere ich die Betten und Zimmer, in denen ich übernachte. Schritt für Schritt wurde mehr daraus, im Dialog entstanden neue Perspektiven. Aber plötzlich hatte der Begriff „Heimat“ wieder Konjunktur. Von dieser politisierten und aufgeladenen Diskussion will ich mich abgrenzen, (auch) deswegen heißt das Projekt dis:located!? Es geht um die Anywheres und die Somewheres (David Goodhart), aber nicht als gesellschaftliche Gruppen, sondern als individuelle Perspektive, den einzelnen Lebensentwurf. Um die Kunst, Offenheit und Verwurzelung zu balancieren, Entkopplung und Erstarrung zu vermeiden.

Dabei gehöre ich zu den Anywheres, wie David Goodhart sie nennt: Wissensarbeiter, mobil, flexibel. Theoretisch könnte ich überall leben, wo es WLAN und einen guten Cappuccino gibt. Offenheit und Ungebundenheit sind wichtige Werte für mich. Der Flughafen Bangkok ist mir so vertraut wie der S-Bahnhof in meinem Herkunftsdorf. Goodhart kontrastiert diesen Lebensstil mit dem der Somewheres, die stärker verwurzelt sind, auf Stabilität, Sicherheit und Gruppenzugehörigkeiten mehr Wert legen.

Wenn ich aber genau hinschaue, die Brüche in den Blick nehme, dann kommen mir anywhere und somewhere nicht als unauflöslicher Gegensatz vor. Sondern eher als Pole, zwischen denen wir oszillieren. Manche mehr, manche weniger. Ich habe anywhere und somewhere-Bedürfnisse, Werte und Anteile in mir, die oft zueinander in Spannung geraten. Wer kann das schon durchhalten, den ständigen Aufbruch zu leben ohne sich nach einem Ankommen zu sehnen? Kippt das nicht in Beliebigkeit? Und spätestens dann, wenn Verantwortung in Handeln übersetzt werden soll geraten sehr konkrete Orte und Beteiligte wieder in den Blick. Gleichzeitig ist kein somewhere-Kosmos hermetisch. Reisen, Internet und neue Menschen öffnen die Welt und unser "Wissensdurst und Erkenntnisdrang kann zwar erlahmen und ermüden, ist aber eine Ressource, die niemals ganz verschwindet" (Peter Dreitzel).   

Bei dis:located!? geht es darum, diese Spannungen zu erkunden, nach Vereinbarkeiten zu suchen, die Widersprüche nicht zu verleugnen. Kein Wert ist eine Tugend sagt Matthias Varga von Kibéd. Und interpretiert das Wertequadrat neu, das auf der nikomachischen Ethik von Aristoteles beruht. Jeder Wert kann übertrieben und damit zu etwas Schädlichem werden. Deswegen braucht jeder Wert einen Gegenwert, der ihn in der Balance hält. dis:located! ist das Gefühl, das sich situativ, im Oszillieren, im Balancieren zwischen den Polen einstellt.